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UXcamp Europe 2025: Zwischen Accessibility, KI und Future Experiences

Am 7. und 8. Juni 2025 war es wieder so weit: In Berlin fand das UXcamp Europe statt – eines der größten Barcamps rund um User Experience. Über 600 UX-Begeisterte aus aller Welt kamen zusammen, um aktuelle Themen, Herausforderungen und Best Practices zu teilen. Auch wir von usability.de waren mit Steffen, Max und mir (Saskia) mittendrin. Noch bevor es inhaltlich losging, sorgten die Veranstalter selbst für den ersten Gänsehautmoment: Gemeinsam mit allen Teilnehmenden wurde gesungen – und plötzlich war das Eis gebrochen.

Das Team vom UXcamp Europe musiziert auf der Bühne.

UXcamp-Opening mit Ohrwurm-Garantie: Veranstalter sorgen für den perfekten Auftakt.

Accessibility aka a11y: Das unterschätzte Potenzial für alle!

Digitale Barrierefreiheit war eines der Themen, das auf dem UXcamp viele bewegte. In mehreren Sessions wurde deutlich, wie universell barrierefreie Gestaltung ist: Accessibility betrifft nicht nur Menschen mit dauerhaften Einschränkungen, sondern nahezu jeden Menschen in temporären Situationen (ein gebrochener Arm, geblendet durch die Sonne oder altersbedingte Sehschwächen).

Ein Treiber für die aktuelle Aufmerksamkeit ist sicher der European Accessibility Act (EAA) – mit der verbindlichen Umsetzungsfrist am 28. Juni 2025. Er hat das Thema auf die Roadmaps vieler Unternehmen gebracht. Aber: In der Realität zeigt sich, dass es noch immer Überzeugungsarbeit braucht – vor allem auf Führungsebene. Dort fehlt häufig das Bewusstsein für das Potenzial. Was hilft? Konkrete Use Cases und Zahlen, die den Impact barrierefreier Gestaltung sichtbar machen.

Einen besonders spannenden Impuls gaben Mitchell Evan (Principal Accessibility Engineer, TPGi) und Oleksii Ponomarenko (Lead UX Designer, DHL): Sie verstehen Accessibility als Maturity Journey – also als einen langfristigen Reifeprozess, der weit über das bloße Abarbeiten einer Checkliste hinausgeht. Die Umsetzung bleibt komplex – und gerade deshalb ist es so gefährlich, Barrierefreiheit als Nischenthema abzutun. Positiv ist allerdings, dass die UX-Community schon aktiv ist. Tools wie Browser-Accessibility-Tracker oder Figma-Plugins für automatisierte Audits werden bereits eingesetzt. Der wirkliche Reality-Check kommt aber oft erst mit externen Audits, die Schwächen aufdecken. (Mehr zum Thema digitale Barrierefreiheit).

👉 Mein persönliches Takeaway:

Selbst gut gepflegte Pattern Libraries mit barrierefreien Komponenten stoßen an ihre Grenzen, wenn CMS-Systeme ins Spiel kommen. Sie fügen oft automatisch zusätzliche Code-Attribute ein – und schaffen so unbeabsichtigt neue Barrieren. Diese Systeme müssen stärker in Accessibility-Maßnahmen integriert werden, um wirklich ganzheitlich zu denken.

Zukunft aktiv gestalten – mit Methoden, die weiter denken

Steffen pitcht sein Thema beim Barcamp

Megatrends, Future Personas & Journey Maps: Steffen Weichert gibt Einblicke in Future Experiences.

 

Wie können wir Produkte gestalten, die nicht nur heute funktionieren – sondern auch in 10+ Jahren noch relevant sind? Steffen gab in seinem Vortrag zur Gestaltung von Future Experiences eine klare Antwort: Indem wir systematisch in die Zukunft denken. Dazu nutzt er Tools wie Future Personas und Future User Journeys, die auf realen Nutzungsbedürfnissen und der Analyse gesellschaftlicher Megatrends basieren. Ob demografischer Wandel, digitale Vernetzung oder der Einsatz von KI – diese Entwicklungen beeinflussen schon heute, wie Menschen morgen leben und arbeiten werden.

Besonders wichtig: Der Research richtet sich gezielt an sogenannte „future-ready“ User – also Menschen, die aktiv über die Zukunft ihres Fachgebiets nachdenken. Das können Innovationsverantwortliche, technikaffine Power-User oder strategische Entscheider:innen sein.

„If we want to stay relevant, UX Designers must explore and model what’s next — not just react to it.“

👉 Mein persönliches Takeaway:

Wer die Zukunft gestalten will, braucht ein tiefes Verständnis dafür, wie sich Nutzerrollen, Technologien und Anforderungen entwickeln. Future Experience Design bietet dafür die passenden Werkzeuge – und den Mut, heute schon anders zu denken.

KI-Superkräfte: Wenn UX-Designer zu Kunden der KI werden

In seinem inspirierenden Vortrag „Gain AI Superpowers“ zeigte Matěj Heřman, wie sich unsere Rolle als UX-Designer:innen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz grundlegend verändert. Seine zentrale These: Wir sind nicht mehr nur Gestaltende – wir werden gleichzeitig zu Kund:innen der KI. Wir geben Briefings, prüfen Ergebnisse, geben Feedback und iterieren – ähnlich wie im Zusammenspiel mit menschlichen Dienstleistern.

Ein zentraler Fokus lag auf dem Thema Prompt Engineering – also der Kunst, KI systematisch und zielführend anzuleiten. Dabei stellte er mehrere zentrale Konzepte vor:

  • Zero-Shot: Einfache Eingabe ohne Kontext oder Beispiele – ideal für einfache Aufgaben mit klarer Erwartung.
  • Few-Shot: Mehrere Beispiele werden mitgegeben, um die gewünschte Struktur und Qualität der Antwort vorzugeben.
  • Role-Playing: Die KI übernimmt eine definierte Rolle und agiert entsprechend spezifischer Erwartungen.
  • COSTAR-Framework: Eine strukturierte Methode zur Prompt-Gestaltung – Context, Objective, Style, Tone, Audience, Response.

Matěj betonte, wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit KI-Ergebnissen ist: Antworten wirken oft überzeugend, sind aber nicht automatisch korrekt. Deshalb stellte er Methoden vor, mit denen KI zur Selbstreflexion angeregt werden kann:

  • Self-Verification: Die KI prüft ihre eigene Antwort auf Plausibilität, Unsicherheiten und Optimierungspotenzial.
  • Chain of Thought: Die KI erklärt ihr Vorgehen schrittweise – für mehr Nachvollziehbarkeit und bessere Ergebnisse.
  • Output Chunks: Große Aufgaben werden in kleinere Abschnitte zerlegt – das steigert Fokus und Qualität.
  • Self-Consistency: Mehrere Durchläufe mit leicht variierten Prompts liefern unterschiedliche Ansätze – der beste wird ausgewählt.
  • Multiple POV (Points of View): Ein Thema wird aus verschiedenen Rollen oder Perspektiven bewertet – z. B. UX, Legal oder Business.

👉 Mein persönliches Takeaway:

Wir sollten KI nicht als magischen Knopf sehen, sondern als kollaborativen Partner. Sie will geführt, gefüttert und hinterfragt werden. Je besser wir kommunizieren, desto besser wird das Ergebnis. Und am Ende bleibt es dabei: Gute Fragen sind oft wertvoller als schnelle Antworten.

Die UX-Arbeitsweise bei Thermomix: Ein Blick in den Gestaltungsprozess

Ein weiteres Highlight war der Vortrag von Florian Schröder über die UX-Arbeitsweise bei Thermomix von Vorwerk. Er zeigte, wie User Experience in einem komplexen Ökosystem aus Hardware und Software gestaltet wird. Das Herzstück ist die Guided Cooking Experience mit dem persönlichen Homescreen, unterstützt von einem Digital Twin, der den realen Zustand der Hardware widerspiegelt.

Der Prozess startet mit der Entwicklung einer Produktvision, die verschiedene Ansätze wie Storytelling oder Benchmarking nutzt. Danach folgen grundlegende Hardware-Entscheidungen (etwa: Touchscreen als einzige Input-Methode – welche Limitierungen ergeben sich daraus?) und die Erhebung der Nutzererwartungen. Semi-strukturierte Interviews und Task-based Cooking Sessions geben tiefe Einblicke in die Nutzerbedürfnisse (wie verhält sich der Touchscreen bei nassen Händen?). Eine Herausforderung bleibt dabei immer die Hardware- und Software-Entwicklung zu vereinen, da die Entwicklungszyklen stark voneinander abweichen und sich dennoch gegenseitig beeinflussen.

Der neue Thermomix TM7

Foto: Vorwerk intern

 

Was neben dem Prozess herausstach ist die Teamstruktur bei Vorwerk: Ein Global UX Team mit einer übergreifenden Vision, das die Experience über alle Touchpoints hinweg betrachtet und innovative Konzepte exploriert und dokumentiert. Die UXler, die direkt in den Development Teams integriert sind, arbeiten die Details weiter aus. Eine kluge Aufteilung, die sowohl das große Ganze als auch die kleinsten Details im Blick behält.

👉 Mein persönliches Takeaway:

UX endet nicht beim Screen. Erst wenn wir Hardware und Interface gemeinsam denken, entsteht echte Nutzerfreundlichkeit.

UX Speed-Dating: Kontakte knüpfen am laufenden Band

Große Veranstaltungen wie das UXcamp Europe sind nicht nur Orte der Weiterbildung und Inspiration, sondern natürlich auch Orte der Begegnung. Doch gerade diese Begegnung kommt unter Umständen im vollgepackten Schedule der Vorträge und Workshops zu kurz. Unser Kollege Max organisierte daher am Samstag ein UX Speed-Dating, bei dem sich die Teilnehmenden besser kennenlernen und über ihre Arbeit austauschen konnten.

👉 Mein persönliches Takeaway:

In kürzester Zeit – alle drei Minuten ist ein Wechsel der Partner:innen angesagt – sich einander vorzustellen und über ein paar vorher gewählte Themen zu diskutieren ist stressig. Aber nirgendwo sonst auf der Konferenz konnte man in so kurzer Zeit so viele neue, tolle Menschen mit dem gleichen Mindset treffen.

Fazit: Berlin hat uns neue Impulse gegeben!

Selfie von Saskia, Steffen und Max

Das UXcamp Europe war eine bereichernde Veranstaltung mit vielen guten Impulsen. Es hat uns gezeigt, dass die UX-Welt nicht stillsteht, sondern sich ständig weiterentwickelt. Von der notwendigen und oft unterschätzten Accessibility über die faszinierende UX-Arbeitsweise beim Thermomix bis hin zu den KI-Superkräften – wir nehmen eine Fülle an Wissen, Inspiration und spannenden Kontakten mit zurück nach Hannover.

Es sind Events wie dieses, die uns als Designerinnen und Designer am Puls der Zeit halten und immer wieder daran erinnern, wie vielfältig und dynamisch unser Bereich ist. Wir freuen uns schon aufs nächste Mal! 🙂

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