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Rückblick auf die UX Strat Amsterdam 2017

Auf der UX STRAT 2017 in Amsterdam tauschten wir uns mit internationalen Kollegen zur strategischen Bedeutung von UX Design aus. Was bleibt bei unseren UX Consultants Michaela Thölke und Kai Robin Grzyb mit etwas Abstand nach der Konferenz hängen? Welche interessanten Erkenntnisse und Entwicklungen haben sie mitgenommen?

Auf der UX STRAT treffen sich Usability-, Produkt- und Service-Design Experten, um die Entwicklung von einer operativ getriebenen Profession hin zu einer strategischen Anwendung des User-Centered Design voranzutreiben. Statt vereinzelt oder nur bei auftretenden Problemen Methoden der nutzerzentrierten Gestaltung anzuwenden, beispielsweise weil vor dem Relaunch einmal der Prototyp getestet werden soll, dient eine User Experience (UX) Strategie als Leitlinie für die digitale Produktentwicklung: Nutzerfeedback und Erkenntnisse aus Nutzerforschung fließen von der Markt- und Bedarfsanalyse über die Ideation, das Prototyping bis hin zur Markteinführung und Erfolgsmessung mit ein. Im Rahmen der Digitalen Transformation sind dazu teils bedeutende Veränderungen im Unternehmen notwendig. Usability Professionals begleiten die Entwicklung und Umsetzung einer UX Strategie sowohl auf Produkt- als auch auf Unternehmensebene.

Zwei Monate sind nun seit der UX SRAT 2017 vergangen. Was ist von der Konferenz bei uns hängen geblieben? Zunächst sind das natürlich die aufgefrischten und neuen persönlichen Kontakte, die positiven Eindrücke von einer stressfreien (single track) Konferenz mit einer tadellosen Organisation (danke, Paul Bryan!). Das Niveau der Talks, sowohl inhaltlich, aber auch vom Entertainmentfaktor her, ist herausragend (Rock on, Ronnie Battista!). Und natürlich macht es auch Spaß, nach dem Programm mit Gleichgesinnten bei einem kühlen Bier die Abendsonne in Amsterdam zu genießen.

 

UX Strat Amsterdamm 2017

Unsere UX Consultants Michaela Thölke und Kai Robin Grzyb auf der UX STRAT 2017 in Amsterdam

 

Was aber noch wichtiger ist: Wir mögen die Konferenz vor allem, weil sie konkrete Auswirkungen auf unser Denken und Handeln hat. Davon profitieren auch direkt unsere Kunden. Denn grundsätzlich sehen wir in mehr und mehr Projekten die Notwendigkeit, über die operative Ebene hinaus Veränderungen anzustoßen und zu begleiten. Und auch umgekehrt bekommen wir mehr und mehr Anfragen zur Unterstützung bei der Entwicklung einer UX Strategie, um die Digitale Transformation zum Erfolg zu bringen.

Empathie schafft Mehrwerte

Schön ist die UX STRAT auch, weil man spürt, dass wir alle eine Motivation teilen. Ganz allgemein ist es das Interesse an menschlichem Verhalten (Raffaela Rein). Konkreter das Bemühen, Empathie für den Kunden zu entwickeln, seine Lebenswelt kennen zu lernen und Produkte zu gestalten, die einen echten Mehrwert darstellen. Denn leider wird technologischer Fortschritt häufig mit Effizienzsteigerung gleichgesetzt, anstatt zu fragen, was die eigentlichen Bedürfnisse der Kunden sind. Denn meist ist es die Unterstützung bei der Erfüllung emotionaler und sozialer Bedürfnisse, die Produkte erfolgreich macht (Paul-Jarvis Heath).

Über ein spannendes Beispiel für die Bedeutung einer empathischen Herangehensweise berichtete Zach Hyman. Er und sein Team untersuchten für eine Bank, wie eine innovative Lösung zur Abgeltung von Krediten in Jordanien aussehen könnte. Schnell wurde klar, dass die Abgelegenheit der Dörfer und Städte (und damit der Bankfilialen), kulturelle Eigenheiten beim Geld sparen und der starke Fokus auf Bargeld Rahmenbedingungen sind, die eine Lösung berücksichtigen muss. Durch Interviews und Co-Creation Workshops mit potentiellen Kunden konnte ein Prototyp und Design Prinzipien erarbeitet werden, die den Gegebenheiten und kulturellen Bedürfnissen der Nutzergruppe entgegenkamen.

Strategische Produktentwicklung

Ein solch strategisches Vorgehen bei der Produktentwicklung ist aber leider noch nicht die Regel. Tatsächlich kennen wir viele Unternehmen, die schon regelmäßig Usability-Maßnahmen wie Prototyping und Usability-Testing einsetzen, die aber Erkenntnisse und Methoden des User-Centered Designs nicht für strategischere Entscheidungen heranziehen. Welches Feature oder welches Produkt soll bei der Entwicklung priorisiert werden? Auf der UX STRAT wurde aber deutlich, dass sich mehr und mehr Unternehmen zum Ziel setzen, solche Fragen mit Hilfe von nutzerzentrierten Methoden zu beantworten.

David Ruiz 'Developing a Multi-Channel Banking Experience'

David Ruiz „Developing a Multi-Channel Banking Experience“

 

David Ruiz stellte eindrucksvoll vor, wie mit einer klaren UX Strategie in weniger als 2 Jahren ein neuer digitaler Banking-Service entstand. Das Joint Venture von Orange und Groupama setzte von Anfang an konsequent auf die Prinzipien des User-Centered Designs. Zunächst wurde die Frage „Welchen Services und welche Experience wollen wir unseren Kunden bieten?“ nutzerzentriert beantwortet. Von diesen Experience-Prinzipien abgeleitet wurden, alle Stufen des Designs (von der grundlegenden Architektur und Design Prinzipien über Prototypen, Experience Maps, bis hin zu end-to-end Customer Journeys) nutzerzentriert entwickelt. Das bedeutet, dass jeder Schritt durch Erkenntnisse und Feedback aus User Research, Workshops und jeder Menge Usability-Tests begleitet wurde. Wir sind gespannt, wie sich die neue Orange Bank im Wettbewerb schlagen wird.

Noch sind solche lehrbuchartigen Projekte aber die große Ausnahme in unserer Arbeit als UX Consultants und Designer. In der Regel werden zunächst nur einzelne Usability-Maßnahmen durchgeführt. Früher oder später wird dann aber offensichtlich, dass der nächste große Schritt zur Verbesserung der User Experience nur durch grundlegende Veränderungen erreicht werden kann. Dann geht es darum, Methoden des User-Centered Designs auch für die strategische Ausrichtung der Organisationsentwicklung zu nutzen. Der Weg von nutzerzentrierten Produkten hin zu einem nutzerzentrierten Unternehmen wird aktiv angegangen.

UX Strategie als Unternehmensstrategie

Diese Veränderungen sind nur nachhaltig, wenn sie mit einem kulturellen Wandel im Unternehmen einhergehen. So berichtete beispielweise Andrea Picchi davon, wie Sony sich von einem entwicklungsgetriebenen hin zu einem designgetriebenen Unternehmen entwickelt. Dazu verwendet Andrea den Begriff human-centered Design, das sich nicht nur auf die Produktentwicklung, sondern auf das ganze Unternehmen auswirkt. Er versteht unter human-centered nicht nur, dass der Kunde in den Mittelpunkt gerückt wird, sondern der Mensch an sich – also auch der Mitarbeiter, die Führungsperson, das Team. Rollendefinitionen, Arbeitsräume, Belohnungssysteme, Personalentwicklung, Teamzusammensetzungen – nichts bleibt bei Sony unangetastet, um den Weg hin zu einem nutzerzentrierten Unternehmen sicherzustellen. Dieser Wandel geht natürlich nicht von heute auf morgen. Bis die strategischen, von der Unternehmensführung unterstützten Veränderungen überall im Unternehmen angekommen sind, rechnet Andrea mit einem Zeitraum von ca. 10 Jahren.

 

Andrea Picchi 'Embedding Design Thinking at Sony to Accomplish Business Strategy'

Andrea Picchi „Embedding Design Thinking at Sony to Accomplish Business Strategy“

 

Der Weg bis zum Commitment des höheren Managements, um die Veränderungen auch top-down zu steuern, ist unserer Erfahrung nach aber oft steinig. In vielen Projekten arbeiten wir mit unserem Projektpartner daran, durch bottom-up Prozesse die Aufmerksamkeit des höheren Managements auf die Probleme der Nutzer zu lenken. Dazu können zum Beispiel Ergebnisse von UX Maßnahmen nach oben weitergetragen oder das Management gleich zu Usability-Tests eingeladen werden. Eine weitere Möglichkeit bieten Keimzellen, die wie Start-Ups im Unternehmen handeln. So können neue Prozesse und Methoden mit überschaubarem Risiko ausprobiert werden.

Ein Beispiel dafür stellte Martin Kulessa vor. Um den BMW Mobilitätsservice ReachNow in Seattle, USA, zu starten, wurde ein eigenes Unternehmen mit eigener IT gegründet. So wurde ein User-Centered Design Prozess durchlaufen, der das Produkt letztlich zum Erfolg führte. Doch das Projekt macht nicht bei der Produktentwicklung halt. Im weiteren Verlauf werden Positionen und Rollen (z. B. ein Chief Customer Officer und ein Manager of Member Happiness) aber auch Prozesse (z. B. Involvierung des Managements) definiert, die eine Nutzerzentrierung des ganzen Unternehmens garantieren.

Martin Kulessa 'Turning BMW into a Customer Oriented Mobility Service Provider'

Martin Kulessa „Turning BMW into a Customer Oriented Mobility Service Provider“

 

Fazit

Auch dieses Mal nahmen wir von der UX STRAT viele konkrete Ideen mit. Die Ansätze anderer Professionals kennenzulernen, gab uns neue Impulse für die eigene Arbeit. Auch ist der fachliche Austausch immer Anlass zu reflektieren: Was lief in vergangenen und laufenden UX Strategie Projekten gut, was kann man verbessern? Dadurch werden Risiken und Erfolgsfaktoren deutlich und wir können präziser auf vorhandene Konstellationen bei unseren Kunden reagieren. Wir freuen uns auf weitere spannende UX Strategie Projekte.

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